Corporate Governance

Governance von Banken: Mehr als nur Compliance

Reputation und Vertrauen sind entscheidend für den langfristigen Erfolg und eine aktiv gelebte Governance ein Schlüsselfaktor dafür. Kleine und mittlere Banken stehen vor der Herausforderung, regulatorische Vorgaben nicht nur formal zu erfüllen, sondern auch als Basis für eine proaktive und verantwortungsvolle Unternehmensführung zu nutzen. Damit können sie das Vertrauen der Kund:innen und anderer Stakeholder dauerhaft sichern und langfristig erfolgreich im Markt bestehen.


Corporate Governance: Gute Absichten allein reichen oft nicht aus

Ein – oder sogar der wichtigste – Pfeiler des Geschäftsmodells einer Bank ist das Vertrauen in sie. Aus diesem Grund nutzt man deshalb in der Kommunikation oder im Logo von Banken oft eine längst vergangene Jahreszahl oder eine mittelalterliche Burg oder Festung – etwas also, das Beständigkeit und Sicherheit vermittelt. Nicht zuletzt vertraut man diesem Institut ja sein Geld an, respektive begibt man sich mit der Aufnahme von Krediten teilweise in dessen Abhängigkeit.

Logos und Jahreszahlen sind Reminiszenzen an vergangene Zeiten und bei einer (Vertrauens-)Krise in der Gegenwart nur wenig hilfreich. Beispiele wie die Banca Monte dei Paschi di Siena, ein seit 1472 bestehendes Finanzinstitut, das jedoch nur dank einer Beteiligung des italienischen Staates dem Konkurs entkam, oder die 1856 gegründete und heute in die UBS integrierte Credit Suisse zeigen dies exemplarisch auf. In der heutigen Zeit machen immaterielle Werte, wie beispielsweise die Reputation, die Patente oder die Marke eines Unternehmens, bis zu 90% der Marktkapitalisierung kotierter Unternehmen aus. Vor dem Hintergrund, dass insbesondere die Reputation und die Marke sehr sensibel und schnell auf Nachrichten in traditionellen Medien wie Zeitungen oder neuen Medien wie X oder Instagram reagieren können, ist klar, dass ein beachtlicher Teil des Marktwertes eines Unternehmens konstant «at risk» ist. Banken sind davon überproportional betroffen, da immaterielle Werte wie Reputation, intellektuelles Kapital, Kund:innennetzwerke und technologische Innovationen entscheidende Treiber des Geschäftsmodells sind und sie im Gegensatz zur Industrie über relativ wenig reale Vermögenswerte oder Patente verfügen, die im Notfall als Sicherheit herangezogen werden können.

Gerade kleinere und mittlere Banken, die in einem oft intensiven Wettbewerb um Kund:innen und Marktanteile stehen sowie geographisch – und meist auch, was die Kundensegmente angeht – wenig differenziert sind, sind in besonderem Masseauf ihre Reputation angewiesen. In einem Sektor, in dem ein kleiner Vertrauensverlust schnell zu einem kritischen «Bank Run» führen kann, ist der Ruf eines Finanzinstituts dessen zentrales Kapital.

Entsprechend ist eine solide und aktiv gelebte Corporate Governance in diesen mittleren bis kleinen Banken unverzichtbar. Dies, auch wenn man aufgrund der Eigentümerstruktur – sei dies der Kanton, eine Familie oder eine Partnerschaft – nicht direkt dem Druck des Kapitalmarkts ausgesetzt ist wie die grossen, kotierten Institute. Corporate Governance beschreibt das grundlegende Regelwerk und die Prozesse, nach denen ein Unternehmen geführt wird und dieses Rechenschaft ablegt. Gerade wenn man, wie eingangs erwähnt, stark von immateriellen Werten und dem Vertrauen der Öffentlichkeit abhängig ist, ist es entscheidend, dass Governance-Prinzipien nicht nur auf dem Papier existieren, sondern in der Praxis vom Verwaltungsrat (VR) aktiv gelebt werden. Dazu gehört insbesondere, dass sich der VR regelmässig selbst hinterfragt und herausfordert. Haben wir die richtigen Erfahrungen und Kenntnisse im VR, um die verfolgte Strategie glaubwürdig umzusetzen und der Geschäftsleitung ein wertvoller Sparringspartner zu sein? Arbeiten wir effizient genug zusammen und nutzen wir die beschränkte Zeit im Gremium mit den richtigen Themen? Sind wir offen für neue Impulse und ausreichend mit den globalen Entwicklungen vertraut? Oft ist es nicht ganz einfach, sich im Gremium objektiv diesen Fragen zu stellen. Eine Möglichkeit und zunehmend angewandte Methode, dies systematisch zu tun, ist eine extern begleitete VR-Evaluation. Dabei werden mit Hilfe einer unabhängigen Drittpartei diese Fragestellungen individuell und objektiv eruiert und dann im Gesamtgremium diskutiert.

Der VR und das Management von mittleren und kleineren Banken sind aufgrund der grossen Herausforderungen gefordert, aktiv in eine gute Governance zu investieren. Dazu gehört nicht nur, das eigene Wirken möglichst effektiv zu gestalten, sondern auch, die Interessen der verschiedenen Stakeholder – darunter Aktionär:innen, Kund:innen, Mitarbeitenden und Gesellschaft – in Einklang zu bringen, um gemeinsam, mit sprichwörtlich «geballter Kraft», auf die strategischen Ziele und den Purpose, also die «Raison d’être», des Instituts hinzuarbeiten.

Gesetzliche Vorgaben stehen am Anfang, nicht am Ende der Governance

Auch die schweizerische Finanzmarktaufsicht (FINMA) ist sich der Bedeutung einer soliden Corporate Governance bewusst und macht Finanzinstituten deshalb zusätzliche Vorgaben betreffend Unternehmensführung. Diese gehen über die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts hinaus und umfassen spezifische Anforderungen an die interne Organisation, das Risikomanagement und die Unabhängigkeit der Überwachungsfunktionen. Ziel dieser zusätzlichen Vorgaben ist es, die Stabilität des Finanzsystems zu sichern und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Governance der Banken zu stärken.

Aber auch, wenn die FINMA-Anforderungen weitreichend sind, stellen sie lediglich Mindestanforderungen dar. Oft werden sie von Finanzinstituten als eine Art «Checkliste» angesehen, die es abzuarbeiten gilt. Diese Compliance-basierte Herangehensweise mag den gesetzlichen Anforderungen zwar genügen, greift jedoch oft zu kurz, wenn es darum geht, immaterielle Werte wie Reputation und Vertrauen langfristig zu schützen. Die meisten Governance-Strukturen von gescheiterten Finanzinstituten waren auf dem Papier mindestens konform mit einer «Best Practice». Aber eine «Abhak-Mentalität» führt meist dazu, dass zwar formale Anforderungen erfüllt werden, die dahinterliegende Philosophie von Corporate Governance jedoch nicht in die tägliche Praxis integriert wird.

Um die Reputation eines Finanzinstituts nachhaltig zu schützen, ist es deshalb notwendig, Corporate Governance als integralen Treiber und Pfeiler der Unternehmensstrategie zu begreifen. Corporate Governance muss aktiv und vorausschauend gelebt werden. Dies erfordert vom VR, dem Management und dem Unternehmen generell hohe Ambitionen hinsichtlich Transparenz, ethischen Handelns und der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Durch eine proaktive und verantwortungsvolle Unternehmensführung kann das Vertrauen der Kunden:innen und der Öffentlichkeit aufgebaut werden.

Fokus auf Eigentümer:innen ist wichtig, aber nicht ausreichend

Eigentümer:innen spielen für kleine bis mittelgrosse Banken eine zentrale Rolle, da diese oft weniger stark diversifiziert und deshalb oft weniger resilient sind als ihre grösseren Kontrahenten. Der traditionelle Fokus auf die Eigentümer:innen, also die Interessen der (Haupt-)Aktionär:innen, allein reicht nicht aus, um langfristig das Vertrauen in eine Bank zu sichern und eine nachhaltige Unternehmensführung zu gewährleisten. Es ist vielmehr unerlässlich, dass die Interessen aller relevanten Stakeholder berücksichtigt und in die Corporate- Governance-Strategie eingebunden werden. Wer sind diese Stakeholder, warum sind sie relevant und wie kann ein effektiver Dialog mit ihnen geführt werden?

Kund:innen sind ohne Zweifel eine der wichtigsten Stakeholder-Gruppen für eine Bank. Für kleine und mittlere Banken, die oft auf eine lokale oder regionale Kundschaft angewiesen sind, ist die Pflege der Kund:innenbeziehungen essenziell. Kund:innen vertrauen der Bank nicht nur ihre finanziellen Mittel an, sondern oft auch ihre Zukunftsplanung oder unternehmerischen Ziele. Die Reputation der Bank hängt massgeblich davon ab, wie gut diese die Bedürfnisse ihrer Kund:innen versteht und erfüllt. Ein Verlust des Kund:innenvertrauens kann sich unmittelbar auf die Geschäftstätigkeit auswirken und, aufgrund der lokalen Fokussierung, im Extremfall existenzbedrohend sein.

Regionale oder auf eine bestimmte Kund:innengruppe fokussierte Finanzinstitute müssen deshalb nicht nur die eigenen Risiken, sondern insbesondere auch die Risiken ihrer grössten Kund:innensegmente im Auge haben. Ist beispielsweise eine Region oder ein Industriezweig besonders anfällig für höhere Zinsen oder für geopolitische oder auch klimatische Veränderungen? Langfristig denkende Oberleitungsorgane versuchen frühzeitig, zusammen mit den Kund:innen Lösungen zu suchen, die eine höhere Resilienz gegenüber solchen Veränderungen und damit eine langfristige Geschäftsbeziehung ermöglichen.

Die Mitarbeitenden einer Bank sind nicht nur deren «Gesicht nach aussen», sondern auch wichtige Träger:innen der Unternehmenskultur. In kleinen bis mittelgrossen Banken hat die Mehrheit der Mitarbeitenden, geschäftlich wie auch privat, oft direkten Kontakt zu den Kund:innen und trägt daher massgeblich zur Wahrnehmung der Bank in der Öffentlichkeit bei. Ein motiviertes, gut geschultes und aktiv eingebundenes Team ist deshalb der Schlüssel zum Erfolg.

Der Dialog mit den Mitarbeitenden sollte auf einer Kultur der Offenheit und des gegenseitigen Vertrauens basieren und, soweit möglich, proaktiv erfolgen. Eine transparente Kommunikation mit den Mitarbeitenden kann helfen, Unsicherheiten und Gerüchte zu vermeiden. Zudem kann die Einbindung der Mitarbeitenden in die Entwicklung des Unternehmens-«Purpose» – oder können Initiativen zu dessen Umsetzung – dazu beitragen, ein starkes Engagement für das Unternehmen und eine enge Anbindung an dessen Identität zu fördern.

Die Einhaltung gesetzlicher und regulatorischer Vorgaben ist im Bankensektor von grosser Bedeutung. Aufsichtsbehörden wie die FINMA sorgen für Stabilität im Finanzsystem und schützen die Interessen der Anleger:innen. Für kleine und mittlere Banken können die Anforderungen der Regulatoren eine besondere Herausforderung darstellen, haben sie doch oft weniger Ressourcen als Grossbanken, um komplexe Compliance-Vorschriften umzusetzen. Gleichzeitig ist eine gute Beziehung zu den Aufsichtsbehörden unerlässlich, um das Vertrauen in das Finanzinstitut und dessen Glaubwürdigkeit zu wahren.

Der Dialog mit Aufsichtsbehörden sollte regelmässig, transparent und konstruktiv geführt werden. Auch bei dieser Stakeholder-Gruppe hilft dies zur Vermeidung von Missverständnissen oder gar Sanktionen und zeigt, dass die Bank ihre Verpflichtungen ernst nimmt. Es ist wichtig, dass die Bank proaktiv über ihre Geschäftstätigkeit und Compliance-Anstrengungen berichtet und im Gegenzug die Anforderungen und Erwartungen der Aufsicht klar versteht.

Kleine und mittlere Banken sind, wie erwähnt, oft stark in ihrer lokalen Gesellschaft verankert. Sie tragen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region bei, schaffen direkt und indirekt Arbeitsplätze und bieten, den lokalen Bedürfnissen entsprechende, finanzielle Dienstleistungen an. Ein Finanzinstitut, das als verantwortungsvoller Teil der Gemeinschaft gesehen wird, wird auch in Krisenzeiten auf das Vertrauen der Bevölkerung zählen können. Ein Teil dieser Verantwortung betrifft zunehmend auch die Nachhaltigkeit, also soziale und ökologische Themen.

Der Dialog mit der Gesellschaft sollte deshalb insbesondere auf lokaler Ebene stattfinden. Bei einer fehlenden öffentlichen Wahrnehmung des gesellschaftlichen Engagements kann die lokale Gemeinschaft zum Schluss kommen, dass die Bank wenig für die Region tut und dadurch einen Ruf als «abgehoben» und zu wenig regional verankert erwirbt.

Auch wenn sie nicht die einzige relevante Stakeholder-Gruppe sind, spielen Aktionär:innen natürlich eine zentrale Rolle in der Corporate Governance, stellen sie doch das Kapital für die Geschäftstätigkeit der Bank zur Verfügung. Daher haben sie auch ein legitimes Interesse daran, dass die Bank verantwortungsvoll geführt wird und langfristig Erträge erwirtschaftet. Einen besonderen Balanceakt stellen dabei Abwägungen zwischen kurzfristigen Gewinnen und langfristiger Stabilität dar.

Dazu sollte mit den Aktionär:innen ein transparenter und ehrlicher Dialog geführt werden. Regelmässige direkte Gespräche mit den grössten Aktionär:innen – bei mittleren und kleinen Banken oft auch kantonalen Vertretungen – über Governance-Strukturen und die langfristige Strategie der Bank sind wesentlich, um Vertrauen zu schaffen. Wichtig ist auch, dass dieses Vertrauen in guten Zeiten aufgebaut und ein Kontakt nicht erst in Krisenzeiten gesucht wird.

Das sollten Sie mitnehmen

Eine solide Corporate Governance ist für kleine und mittlere Banken nicht nur ein gesetzliches Erfordernis, sondern auch ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. Sie schafft die Grundlage für den Aufbau von Vertrauen und hilft, den Ruf der Bank zu schützen. Dem VR kommt dabei eine wichtige Rolle als aktiver Treiber einer stabilen und zukunftsorientierten Governance zu. Er ist aufgerufen, sich nicht nur regelmässig selbst auf eine effiziente und effektive Arbeitsweise zu überprüfen, sondern sollte auch bemüht sein, eine Zusammensetzung zu erreichen, die es ermöglicht, aktuelle und anstehende Herausforderungen professionell und mit dem nötigen Know-how anzugehen.

Zudem sollte sich die Governance nicht nur auf die Aktionär:innen fokussieren, sondern eine breitere Gruppe von unterschiedlichen Stakeholdern einbeziehen. Jede dieser Gruppen – von Kund:innen über Mitarbeitende bis hin zu Aufsichtsbehörden und der lokalen Gesellschaft – trägt auf ihre Weise zum Erfolg und zur Stabilität einer Bank bei. Ein offener, transparenter und aktiver Dialog mit diesen Stakeholdern ist notwendig, um Vertrauen aufzubauen und zu erhalten. Nur durch den Einbezug dieser Interessen in die Entscheidungsfindung und das Risikomanagement sowie durch eine vorausschauende Kommunikation kann die Reputation der Bank langfristig geschützt und das Unternehmen erfolgreich geführt werden.

Über den Autor

Dr. Christoph Wenk Bernasconi ist Dozent an der Executive Education Finance und Programmleiter des CAS in Stakeholder Management and Stewardship an der Universität Zürich sowie Partner bei SWIPRA Services und bei Trusted Board Advisors (TBA). Seine Fachgebiete sind die Corporate Governance und die Nachhaltigkeit. Er kombiniert mehr als ein Jahrzehnt angewandter und akademischer Arbeit in diesem Bereich. In seiner Tätigkeit bei SWIPRA und TBA berät er Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen zu unterschiedlichen Corporate Governance-Themen.

Über den Artikel

Der Artikel ist ursprünglich erschienen in "Recht relevant. für Verwaltungsräte 4/2024"


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