Raffael Tondeur im Gespräch mit den Initiator:innen der aktuellen Studie zur Zusammensetzung von Verwaltungsräten in Schweizer KMU, durchgeführt an der Universität Zürich. Die Studie liefert aktuelle und umfassende Einblicke in die Besetzungspraxis von Verwaltungsräten in Schweizer KMU. Autor: Raffael Tondeur
Tobias Herren: Der Verwaltungsrat ist von Gesetzes wegen für die strategische Ausrichtung eines Unternehmens verantwortlich. Dennoch gibt es kaum systematische Analysen dazu, wie diese Gremien in Schweizer KMU besetzt sind bzw. besetzt werden sollen. Unsere Initiative zielte darauf ab, hier Klarheit zu bringen und wertvolle Erkenntnisse für die Wirtschaftspraxis zu liefern.
Petra Gössi: Hinzu kommt, dass KMU eine Schlüsselrolle in der Schweizer Wirtschaft spielen. Zu verstehen, wie ihre Führungsgremien funktionieren, ist essenziell – besonders in Bezug auf Herausforderungen wie Diversität, die auch für Innovation und die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz im globalen Wettbewerb entscheidend ist.
Petra Gössi: Leider spiegeln diese Zahlen, dass Frauen nach wie vor in Führungspositionen unterrepräsentiert sind. Besonders in technologieorientierten Sektoren fehlt es an gezielten Fördermassnahmen und Vorbildern, um Frauen in Verwaltungsräte zu bringen. Dabei ist Diversität kein Selbstzweck – Studien zeigen, dass gemischte Teams oft bessere Entscheidungen treffen.
Dominic Lüthi: Das Problem beginnt bei der Rekrutierung neuer VR-Mitglieder. In vielen KMU fehlt eine strategische Planung, gehandelt wird erst bei einer Vakanz und oft greift die Rekrutierung auf das engste persönliche Netzwerk der Präsidialperson zurück. Folgen davon: homogene Gremien, Mangel an Unabhängigkeit und Impulsen. Es braucht mehr Transparenz und strukturierte Rekrutierungsprozesse. Digitale Plattformen wie VRMandat.com können eine wertvolle Unterstützung bieten. Sie ermöglichen KMU, gezielt vielfältige Kandidat:innen zu finden, die unabhängig sind und den gewünschten Anforderungsprofilen entsprechen.
Raoul Stöhlker: Stabilität ist positiv, weil sie Erfahrung und Kontinuität sichert. Oft sind Verwaltungsräte eng mit den Eigentümern verknüpft, was in KMU typisch ist. Besonders in Familienunternehmen zeigt sich diese enge Verbindung als eine Quelle von Vertrauen und langfristiger Ausrichtung. Stabilität darf nicht zur Stagnation führen. In einem dynamischen Marktumfeld braucht es neue Impulse – sei es durch jüngere Mitglieder oder internationale Perspektiven. In Familienunternehmen ist es wichtig, eine Balance zwischen traditioneller Werteorientierung und der Offenheit für Innovationen zu finden, um die Anpassungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Tobias Herren: Das liegt an der KMU-Eigentümerstruktur in der Schweiz und Art. 718 Abs. 4 OR, wonach mindestens ein Verwaltungsrat bzw. eine Verwaltungsrätin in der Schweiz Wohnsitz haben muss. Viele Unternehmen sind stark regional verankert und rekrutieren deshalb aus ihrem unmittelbaren Umfeld. In Grenzregionen wie dem Tessin hat es tendenziell mehr Nicht-Schweizer:innen in den Verwaltungsräten, aber insgesamt fehlt es oft am Bewusstsein, dass internationale Mitglieder wertvolle Impulse einbringen können.
Dr. Christoph Wenk Bernasconi: Die geringe internationale Diversität hängt auch mit der Unternehmensgrösse zusammen. Bei börsenkotierten Firmen, die global agieren, ist der Anteil internationaler Verwaltungsräte deutlich höher. KMU könnten hier profitieren, indem sie ihre Netzwerke bewusst erweitern.
Dr. Christoph Wenk Bernasconi: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits vereinfacht es Entscheidungsprozesse, besonders in kleinen, familiengeführten Unternehmen. Andererseits birgt es Risiken, etwa durch die Konzentration von Macht und den Mangel an kritischen Stimmen im Verwaltungsrat. Langfristig sollten KMU darauf achten, diese Rollen zu trennen, um eine gesunde Governance zu gewährleisten.
Petra Gössi: KMU sollten Diversität als Chance sehen. Es braucht gezielte Programme, um Frauen und internationale Mitglieder in Verwaltungsräte zu bringen. Auch die Förderung von Nachwuchskräften kann dazu beitragen, neue Perspektiven einzubringen.
Dominic Lüthi: Transparenz und der Wille zu guter Governance sind entscheidend. KMU sollten ihre Rekrutierungsprozesse öffnen und gezielt nach unterschiedlichen Perspektiven suchen – sei es in Bezug auf Alter, Geschlecht, berufliche Hintergründe, Branchenkenntnisse oder kulturelle Vielfalt. Diversität in Verwaltungsräten ist mehr als ein Ideal – sie führt nachweislich zu fundierteren Entscheidungen und einer ausgewogeneren Risikobewertung. Unterschiedliche Erfahrungen und Ansichten bereichern die Diskussionen im Gremium und stärken die strategische Ausrichtung.
Tobias Herren: Und letztlich sollten KMU den Mut haben, Veränderungen zuzulassen. Eine diverse und unabhängige Führung ist nicht nur zeitgemäss, sondern auch ein Erfolgsfaktor für Entscheidungsprozesse mit Wirkung auf die Zukunft.
Die Masterarbeit von Angelo Antonio Di Feo zur Zusammensetzung von Verwaltungsräten in Schweizer KMU wurde an der Universität Zürich unter der Betreuung von Dr. Christoph Wenk Bernasconi verfasst. Sie basiert auf einer detaillierten Analyse von 28 000 KMU-Datensätzen und liefert einen innovativen Beitrag zur Corporate-Governance- Forschung im KMU-Bereich.
Die Initiative zur Realisierung einer Studie zum Thema der Besetzungspraxis von KMU-Verwaltungsräten geht zurück auf Tobias Herren, Rechtsanwalt der Bratschi AG, Ständerätin Petra Gössi, Raoul Stöhlker, geschäftsführender Partner der Stöhlker AG, und Dominic Lüthi, Gründer von VRMandat.com. Dr. Christoph Wenk Bernasconi von der Finance Executive Education der Universität Zürich betreute die Erarbeitung der Studien.
Der Artikel ist ursprünglich erschienen in "UnternehmerZeitung 1/2025, S. 12-13".
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