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Dr. Philipp Staudacher ist Dozent im Kurs Biodiversity and Finance. Er hat an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften studiert und prüft nun bei der digitalen Schweizer Bank radicant ag, ob Investitionen die Nachhaltigkeitsziele erreichen. Er ist Spezialist für alle Themen, bei denen Natur und Biodiversität sich mit Finanzen und Investitionen überschneiden.
Biodiversität ist ein Begriff, der erst seit Kurzem breit verwendet wird. Mein Interesse an Biodiversität kommt hauptsächlich von meiner Begeisterung für die Natur, welche auch bereits von meinen Eltern gefördert wurde. Als Kind habe ich jeweils in Tierbüchern gestöbert und Dokumentarfilme geschaut. Ich war immer wieder beeindruckt von den vielen verschiedenen Tierarten, die es zu entdecken gibt. Auf eine gewisse Art mache ich das auch heute noch: In meinen sozialen Medien sehe ich viele grossartige Bilder von Insekten, Meeresbewohnern und niedlichen kleinen Säugetieren. Auch ich lerne immer noch jeden Tag neue Arten kennen, zum Beispiel das Baumkänguru, oder ich erfahre Neues über Arten, die mir schon bekannt sind.
Während meiner Forschungsarbeit an der ETH Zürich mussten wir auch Studienpunkte (ECTS) in fachfremden Gebieten sammeln. Ich habe mich dafür entschieden, einen Kurs namens "Klimafinanzierung" (Climate Finance) zu belegen, der damals im Bereich Ressourcenökonomie angeboten wurde. Dort habe ich gelernt, wie grosse Finanzinstitute klimaschädliche Projekte mit Milliardenbeträgen unterstützen. Gleichzeitig habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, mein eigenes Geld anzulegen, ohne solche schädlichen Projekte zu unterstützen. Das war im Jahr 2018 und meine Suche verlief grösstenteils ergebnislos. Da wurde mir bewusst, dass es in der Finanzwelt an Wissen über Nachhaltigkeit mangelt. Als Umweltwissenschaftler kann ich also meinen Beitrag leisten, indem ich einen Job in diesem Bereich suche.
Die Situation ist leicht erklärt, aber die Lösung dazu ist nicht einfach: Das heutige Wirtschaftssystem, das auf weltweites Wachstum abzielt, funktioniert nur, weil wir in unserer Bilanz die natürlichen Ressourcen nicht berücksichtigen. Wir denken nicht darüber nach, wie wichtig Ökosysteme sind und was sie uns Gutes bieten, wie beispielsweise sauberes Wasser oder frische Luft. Deshalb geben wir ihnen auch keinen konkreten Wert. Finanzinstitute müssen sich bewusst sein, welche von ihnen unterstützten Projekte die Biodiversität beeinträchtigen und welche Risiken das für andere Investitionen mit sich bringt. Es könnte beispielsweise passieren, dass die Finanzierung von Projekt A durch Schäden in der Umwelt langfristig den Erfolg von Projekt B beeinträchtigt. Es ist grundsätzlich wichtig, die Wirtschaft langfristig zu betrachten und Investitionen entsprechend auszurichten. Dieses Wissen sollte breiter vermittelt werden.
In den letzten drei Jahren haben wir in diesem Bereich sehr grosse Fortschritte gemacht. Jetzt geht es darum, all diese Anstrengungen miteinander zu verknüpfen und in konkrete Vorhaben umzusetzen.
Es fehlen einheitliche Rahmenwerke und standardisierten Daten und Metriken. Das bedeutet, dass in Unternehmen Biodiversität nicht in Planung, Betrieb und Berichterstattung einbezogen wird. Das könnte zum einen daran liegen, dass es keine klaren Regeln seitens Regierung gibt, oder dass die Industrie nicht genug Unterstützung bietet. Deshalb gibt es kaum Projekte, welche die Artenvielfalt fördern und die gleichzeitig finanziell machbar sind.
Mit dem Global Biodiversity Framework, das im Dezember 2022 in Montreal von allen UNO-Mitgliedsländern angenommen wurde, haben wir einen grossen Meilenstein erreicht. Ziel Nummer 14 dieses Plans sagt, dass Biodiversität in die nationale Gesetzgebung integriert und finanzielle Unterstützung auf diesen Plan ausgerichtet werden soll. Ziel Nummer 15 sagt, dass Banken und grosse Firmen offenlegen sollen, welche Risiken und Auswirkungen sie auf die Vielfalt der Arten haben und umgekehrt. Im Herbst 2023 erscheint ein Rahmenwerk von der Taskforce on Nature-related Financial Disclosure (TNFD), welches ähnlich aufgebaut ist wie das Rahmenwerk der bereits bestehenden Taskforce on Climate-related Financial Disclosure (TCFD). Im Moment gibt es weltweit zehnmal mehr Subventionen für biodiversitätsschädigende Aktivitäten als biodiversitätsfördernde Ausgaben. Ziel Nummer 18 sagt deshalb, dass wir diese Subventionen stoppen und stattdessen Projekte unterstützen sollen, die der Natur guttun.
Für mich ist es wichtig, mehr Mittel in Projekte und Firmen zu bringen, welche die Biodiversität und die Natur insgesamt erhalten, fördern oder wiederherstellen. Gleichzeitig geht es darum, schädliche Produkte und ihre Herstellung zu verringern oder ganz aufzugeben. Während wir bei Naturthemen oft auf die Regierungen blicken, bietet es sich heute und in den nächsten Jahren an, in Unternehmen zu investieren, die selbst mit ihren Produkten und Diensten in diesem Bereich tätig sind. Banken wie die radicant bank ag können dabei Finanzprodukte anbieten, mit denen Kunden ihren eigenen Beitrag leisten können.
Es ist wichtig, zu verstehen, warum Biodiversität und Natur für uns Menschen wichtig sind, und weshalb wir uns darum kümmern sollen. Wie bei einem Portfolio funktionieren die komplexen Systeme der Natur nur, wenn sie diversifiziert sind. Am Ende brauchen wir alle gesunde Nahrungsmittel, frische Luft und sauberes Wasser. Dazu freuen wir uns, wenn unsere Umwelt schön aussieht, wenn wir vor Lawinen und Überschwemmungen sicher sind und wenn wir gegen Dürren und Stürme gewappnet sind. Gesunde Ökosysteme lassen uns all das geniessen. Manchmal spüren wir dies direkt, zum Beispiel als Schutzwald über einem Dorf oder Mangroven an einer Küste. An anderen Orten merken wir es weniger direkt, wie bei den Wäldern im Amazonas oder im Kongo-Becken, die eine Menge CO2 aufnehmen und Sauerstoff abgeben, der sich dann über den ganzen Planeten verteilt.
Wenn wir also “die Biodiversität retten”, sorgen wir im Grunde dafür, dass wir selbst auch sicher überleben können.
Wir erleben gerade das sechste grosse Artensterben. Das fünfte passierte vor 65 Millionen Jahren, als ein grosser Meteorit einschlug und die Dinosaurier ausstarben. Das sechste Massenaussterben geschieht nun wegen uns Menschen: Der WWF hat dazu einen Bericht geschrieben, den Living Planet Report. Darin steht, dass die Wirbeltierbestände weltweit seit 1970 um 69% gesunken sind, also um mehr als zwei Drittel. Bei Tieren, die auf Süsswasser angewiesen sind, sprechen wir von einem Verlust von 83%. Neben menschgemachter Umweltverschmutzung und Ausbeutung sowie auch wegen der Klimakrise liegt der Verlust vor allem daran, dass Lebensräume verschwinden. Wenn beispielsweise alle Menschen auf Fleisch und Milchprodukte von Kühen und Schafen verzichten würden, bräuchten wir nur einen Viertel der Flächen, die aktuell weltweit für Landwirtschaft genutzt werden. Das finde ich erstaunlich.
Deswegen müssen wir dringend unsere Art, wie wir wirtschaften, ändern, und auch unser Verhalten anpassen. Es ist wichtig, zu überlegen, für welche Unternehmen man arbeiten möchte, und ob diese der Artenvielfalt helfen oder schaden. Ebenso die Wahl der Bank, bei der man sein Geld hat. Zuletzt bietet die Entscheidung, wie man sich ernährt, eine der direktesten Möglichkeiten, um umweltfreundlich zu handeln und die Biodiversität zu unterstützen.
(Hier geht's zum Kurs Biodiversity and Finance.)
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