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Gleichstellung

Die Geschlechterkluft schliessen: Wege zur Gleichstellung

In den letzten Jahrzehnten hat die Schweiz erhebliche Fortschritte bei der Integration von Frauen in die Arbeitswelt gemacht. Dennoch sind die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor sehr gross. Sie sind eng mit der Geburt des ersten Kindes verbunden und widerspiegeln weitgehend die traditionellen Geschlechterrollen. Der Arbeitsmarktökonom Prof. Josef Zweimüller erforscht, wie diese Lücken geschlossen werden können. Text: Maura Wyler


In der Schweiz erleben Frauen oft einen gravierenden Karriereknick, wenn sie Kinder bekommen - eine Unterbrechung, die der Ökonom Prof. Josef Zweimüller vom Departement für Volkswirtschaft der Universität Zürich als erheblichen Rückschlag bezeichnet. Diese Einkommenslücke, die auch als „Kinderstrafe“ bezeichnet wird, spiegelt wider, dass das Einkommen und das berufliche Fortkommen von Müttern stark von dem ihrer männlichen Kollegen abweicht, deren Gehälter unvermindert weiter steigen. Zweimüllers Längsschnittstudien zeigen, dass dieser Rückschlag Schweizer Frauen aller Bildungsschichten betrifft und über den gesamten Lebenszyklus hinweg anhält. Er manifestiert sich in einem langsameren Wachstum des Arbeitseinkommens und begrenzten Aufstiegschancen, selbst wenn die Kinder älter werden.

Was sind die Gründe für diese anhaltende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern? Ein wichtiger Faktor sind die vorherrschenden Geschlechterrollen, erklärt Zweimüller. In der Schweiz werden Frauen aufgrund traditioneller kultureller Normen immer noch weitgehend in die Rolle der Betreuenden gedrängt. Diese Realität steht im Gegensatz zu Ländern wie Schweden oder Dänemark, wo eine fortschrittliche Politik und gesellschaftliche Unterstützung für die Gleichstellung der Geschlechter ein Umfeld schaffen, in dem Mütter weniger Karrierekürzungen hinnehmen müssen.

Der Wert der Forschung

Es ist wichtig, die Ursachen für diese Ungleichheiten zu verstehen. Studien wie die von Zweimüller sind von unschätzbarem Wert, wenn es darum geht, die empirischen Beweise zu liefern, die für die öffentliche Debatte und die Ausrichtung politischer Reformen benötigt werden. Die Forschung bringt Licht in verborgene strukturelle Probleme, analysiert Trends im Zeitverlauf und bietet zuverlässige Prognosen. Hier setzt die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Informatik nicht nur als Forschungseinrichtung, sondern auch als Vordenkerin bei der Bekämpfung der Geschlechterungleichheit an. Mit datengestützten Erkenntnissen sind Zweimüller und seine Kolleg:innen in der Lage, politischen Entscheidungstragenden, Unternehmen und der Öffentlichkeit wichtige Informationen zur Verfügung zu stellen, um die komplexen Fragen rund um das Thema Geschlecht in der Arbeitswelt besser zu bewältigen. „Die Forschung bildet die Grundlage für fundierte politische Diskussionen“, erklärt Zweimüller. „Verlässliche Daten helfen uns, zu verstehen, wo wir stehen und praktische Schritte zu identifizieren.“ Seine Ergebnisse zeigen, dass die Kluft zwischen den Geschlechtern in der Schweiz nach wie vor gross ist, obwohl jüngere Generationen Anzeichen einer Verbesserung zeigen. Der Weg zur Parität ist jedoch ein langsamer, und eine einfache Ausweitung der Familienpolitik reicht möglicherweise nicht aus, um die Kluft zu schliessen.

Die Komplexität der Lösungen

Die Ursachen für die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern liegen in einer Kombination aus wirtschaftlichen Kräften, kulturellen Normen und individuellen Vorlieben. Um sie zu beseitigen, ist ein Ansatz erforderlich, der die Politik am Arbeitsplatz, die Unterstützung der Familie durch die Regierung und eine Veränderung der gesellschaftlichen Erwartungen vereint. Der derzeitige Arbeitskräftemangel, so Zweimüller, biete eine einzigartige Gelegenheit für Veränderungen. „Wenn die Unternehmen erkennen, dass sie freie Stellen besetzen können, indem sie auf die vorhandenen, nicht ausgelasteten, aber hoch qualifizierten weiblichen Arbeitskräfte zurückgreifen, gäbe es natürlich mehr Anreize für Frauen und Mütter, im Berufsleben zu bleiben oder wieder einzusteigen“, stellt er fest. So können beispielsweise Modelle zur Unterstützung flexibler Arbeitszeiten und Wiedereinstiegsprogramme den Übergang für Frauen, die nach dem Elternurlaub an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, erleichtern. Gleichzeitig müssen auch Väter Zugang zu Kinderbetreuungsangeboten haben, die die gemeinsame Wahrnehmung familiärer Pflichten fördern, und sollten von Unternehmen nicht diskriminiert werden, wenn sie dies tun.

In einem zunehmend wettbewerbsorientierten Arbeitsmarkt können Unternehmen, die eine integrative Politik verfolgen, nur gewinnen. Investitionen in flexible Karrierewege, Mentoring-Programme und Unterstützungssysteme, die familiäre Verpflichtungen berücksichtigen, könnten eine vielfältigere Belegschaft anziehen und halten und so letztlich sowohl den Talentpool als auch die Produktivität stärken.

Jenseits der Politik: Die Rolle der kulturellen Normen

Doch wie Zweimüller betont, kann die Politik allein die Gleichstellung der Geschlechter nicht erreichen, wenn die kulturellen Erwartungen unangefochten bleiben. Traditionelle Geschlechterrollen beeinflussen nach wie vor die Vorstellungen über die Rolle von Männern und Frauen in Familien und der Arbeitswelt. In der Schweiz sind diese Normen je nach Region sehr unterschiedlich, wobei die deutschsprachigen Regionen tendenziell traditionellere Ansichten aufweisen als ihre französischsprachigen Pendants. „Familienpolitik ist wichtig, aber sie allein reicht nicht aus, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken“, erklärt Zweimüller. Er unterstreicht die Notwendigkeit eines umfassenderen gesellschaftlichen Wandels, bei dem die Politik durch Bemühungen unterstützt wird, die tief verwurzelten Normen zu ändern, die häufig Karriere- und Familienentscheidungen prägen. Es bleiben Fragen offen: Wie verändern sich gesellschaftliche Normen? Können sie aktiv beeinflusst werden, oder ist eine allmähliche Entwicklung der einzige Weg nach vorn? Laut Zweimüller wird die Auswirkung sozialer Normen derzeit erforscht, wobei Studien darauf hindeuten, dass allein die Bereitstellung genauer Informationen über diese Normen den Menschen helfen kann, ihre Annahmen zu überdenken. „Wenn die Menschen erkennen, dass ihre Vorstellungen von den gesellschaftlichen Erwartungen falsch sind, werden sie Entscheidungen treffen, die ihren eigenen Präferenzen besser entsprechen“, erklärt er.

Blick nach vorn: Ein Zeitfenster für Veränderungen

Auf die Frage, wie lange wir noch auf die Gleichstellung der Geschlechter in der Schweiz warten müssen, antwortet Zweimüller: „Wenn wir die gegenwärtigen Trends extrapolieren, werden wir die vollständige Gleichstellung der Geschlechter vielleicht nicht vor 2062 sehen.˝ Wenn wir also diesen Fortschritt beschleunigen wollen, müssen wir uns genauer überlegen, welche politischen Massnahmen funktionieren und wie sie umgesetzt werden können, fährt er fort. Der Weg zur Geschlechterparität ist nicht einfach, aber der aktuelle Arbeitskräftemangel in der Schweiz könnte ein Katalysator für positive Veränderungen sein. Wenn Schweizer Unternehmen und politische Entscheidungsträger:innen diesen Moment nutzen, um integrativere Modelle umzusetzen, könnten sie das Potenzial der weiblichen Arbeitskräfte freisetzen und eine gerechtere Wirtschaftslandschaft schaffen. Allerdings ist Geduld gefragt, denn ein dauerhafter Wandel hängt von einer veränderten kulturellen Einstellung und von politischen Reformen ab.

„Die Zeit zum Handeln ist jetzt“, sagt Zweimüller, aber er warnt davor, dass sich die gesellschaftlichen Normen nicht über Nacht ändern werden. Doch mit engagierten Bemühungen muss die Schweiz vielleicht nicht bis 2060 warten, um eine gerechtere, ausgewogenere Belegschaft zu haben. Die Hoffnung für den Wandel liegt in der Fähigkeit der Schweiz, eine datengestützte Politik mit der Bereitschaft zu kombinieren, traditionelle Rollen zu überdenken und so eine bessere Zukunft für alle Erwerbstätigen zu schaffen.

Handlungsempfehlungen für Politik, Unternehmen und Gesellschaft

  • Flexible Arbeitsumgebungen und transparente Entlöhnung und Karriereförderung: Unternehmen sollten flexible Arbeitszeiten, Teilzeitarbeit und Wiedereinstiegsprogramme zur Unterstützung von Betreuungspersonen, insbesondere von Müttern, in den Vordergrund stellen. Ausserdem sollten sie geschlechtsspezifische Lohn- und Aufstiegsunterschiede durch transparente Berichterstattung angehen.
  • Geschlechtsneutrale Familien- und Arbeitsplatzpolitik: Politiker:innen und Arbeitgebende sollten den gemeinsamen Elternurlaub fördern, um die Betreuungsarbeit zu vereinbaren, die Kinderstrafe zu verringern und die berufliche Gleichstellung beider Eltern zu unterstützen. Regierungen und Unternehmen sollten zudem zusammenarbeiten, um ein System flexibler subventionierter Kinderbetreuung und flexibler Arbeitszeiten zu entwickeln. So kann sichergestellt werden, dass Mütter nicht gezwungen sind, zwischen Karriereentwicklung und Kindererziehung zu wählen und dass Väter bei der Kinderbetreuung nicht diskriminiert werden.
  • Bewusstseinskampagnen für kulturelle Normen: Die Gesellschaft sollte Bewusstseinskampagnen durchführen, um traditionelle Geschlechterrollen in Frage zu stellen und gleiche Verantwortlichkeiten bei Pflege- und Haushaltsaufgaben zu fördern. Kulturelle Veränderungen sind notwendig, um politische Veränderungen zu unterstützen und überholte Ansichten über Geschlecht und Arbeit umzugestalten.

    Quelle: Oec. Magazin Ausgabe #22


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Sina von Flüe

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